Pflegenotstand im westdeutschen Kanalnetz Dortmund, den 22.02.2019
Die Arbeitsgemeinschaft Häfen NRW sieht die Wasserstraßeninfrastruktur in Westdeutschland in einem kritischen Zustand. Die für Dortmund so wichtige Schleuse Henrichenburg ist hierfür nur eines von zahlreichen Beispielen. Dr. Arndt Glowacki, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Häfen NRW und Präsidiumsmitglied des Bundesverbandes öffentlicher Binnenhäfen (BöB) sagt im Interview mit der Dortmunder Hafen AG, was jetzt zu tun ist.
Wie stellt sich die Situation an der Schleuse Henrichenburg aus Sicht des Bundesverbandes öffentlicher Binnenhäfen dar?
Die Schleuse Henrichenburg ist elementar für den Hafen Dortmund, aber auch für das gesamte östliche Ruhrgebiet. Die Serie an Außerbetriebnahmen, die sich auch 2019 und 2020 fortsetzen wird, bedeutet aus Sicht des Gütertransportbedarfs eine große Herausforderung. Wenn etwa 10 Prozent des Jahres dort nicht geschleust werden kann, dann müssen ungefähr 400.000 Tonnen auf anderem Wege befördert werden, das bedeutet ca. 20.000 zusätzliche Lkw-Transporte oder 400 weitere Güterzüge. Was das für die die ohnehin verstopften Landwege bedeutet, kann man sich gut vorstellen…
Wie ist der Zustand der Schifffahrtsstraßen in Deutschland insgesamt einzuschätzen?
Gerade die künstlichen Wasserstraßen und ihre Bauwerke, also Schleusen, Pumpwerke, Düker und Brückenquerungen sind in die Jahre gekommen, der Dortmund-Ems-Kanal zum Beispiel blickt inzwischen auf 120 "Jahresringe". Im gesamten Westdeutschen Kanalnetz ist der „Pflegenotstand“ ausgebrochen, es ist allerhöchste Zeit zu handeln. Das tut die zuständige Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung in Duisburg-Meiderich (WSV) mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln, aber, das sagt uns auch der Bundesverkehrswegeplan, die Schleusen als betriebsnotwendige Schlüsselbauwerke haben ihr Lebensende erreicht und müssen ersetzt werden. Es kann also jederzeit zu einem gravierenden Schaden bis zum Totalausfall kommen. Das ist unbefriedigend.
Schaut man etwas weiter, dann sollte statt vom Zustand vielleicht eher von der Leistungsfähigkeit und der Zukunftsfähigkeit der Wasserstraßen gesprochen werden. Denn es geht nicht nur um das heutige Transportieren. Es geht auch um die Realisierbarkeit der zukünftigen Herausforderungen. Die prognostizierten Transportmengen-Zuwächse sind zu bewältigen und sie sollten auf möglichst umweltfreundliche Art transportiert werden. Schließlich sollten wir für unsere Kinder und Enkel unsere Klimaziele erreichen. Es gilt rasch zu handeln, damit die wachsenden Einschränkungen nicht unumkehrbar werden sondern noch beherrschbar bleiben.
Warum all diese Defizite?
Fast ein halbes Jahrhundert hat man Kredit von den Reparatur-Budgets des Westdeutschen Kanalnetzes genommen, Stellen abgebaut und das Geld für andere, als politisch wichtiger eingestufte Problemlösungen verwendet. Das war notwendig und ging lange gut, denn das Kanalsystem war sehr robust gebaut worden. Aber, und das weiß jeder, der an seinem Auto den Zahnriemen wechseln muss, man kann wichtige Wartungs- und Instandsetzungsarbeiten eine Zeit lang herauszögern, sie jedoch nicht ohne Konsequenzen entfallen lassen. Für unsere Kanäle als essenzielle Lebensadern bedeutet das: es ist ein gewaltiger Stau an Reparaturen und Ersatzneubauten zu bewältigen; die bisher zur Verfügung stehenden Bordmittel der WSV reichen dafür nicht aus.
Gibt es Anzeichen für eine Trendwende?
Erste zarte Versuche haben zu einer einzigen neuen Planstelle geführt, damit jetzt das Ruhrwehr als systemkritisches Bauwerk saniert werden kann, aber für die anderen Problemfälle muss weiterhin auf Bordmittel und Heftpflaster zurückgegriffen werden. Wir brauchen für Nordrhein-Westfalens Wasserstraßen erheblich mehr Fachleute, damit unser System Wasserstraße wieder leistungsfähig wird. Es gilt, gleichzeitig die akuten Probleme zu beseitigen, die überalterten Bauwerks-Unikate noch länger als ursprünglich geplant funktionsfähig zu halten sowie parallel dazu mit Planung, Bau und Inbetriebnahme standardisierter Ersatzbauwerke zu beginnen; eine Mammut-Aufgabe, die aber zwingend und vor allem beschleunigt angegangen werden muss.
Was kann der Dortmunder Hafen in der aktuellen Situation tun?
Ein Hafen ist nicht nur eine Kante zwischen Wasser und Land, vielleicht mit Kränen, Baggern oder Marineladern. Hier sind leistungsfähige Unternehmen aktiv, die Werte schaffen und dafür kompetente Mitarbeiter beschäftigen. Häfen, und da schließe ich den Dortmunder Hafen ausdrücklich mit ein, sind wertvolle Industrie- und Gewerbegebiete. Sie befinden in der Nähe der Zentren im Knotenpunkt von Straßen, Schienen und Wasserstraßen. Das ist von Vorteil für die Logistik, die angesiedelten Unternehmen, die Kommune selbst aber auch für die Menschen, die rasch ihren Arbeitsplatz erreichen können.
Häfen liefern also einen volkswirtschaftlich wichtigen Beitrag als Wirtschaftsfaktor in der Region. Ihre Leistungsfähigkeit zu erhalten und zu fördern ist eine fortwährende Aufgabe. Dies ist nicht nur ureigenes Thema des Hafens: gerade in der akuten Situation der Schleusensperrungen ist jetzt das Engagement aller gefragt, die vom Dortmunder Hafen profitieren und in dessen Verantwortungsbereich der Hafen liegt - von der Stadtspitze über die Wirtschaftsförderung und die Abgeordneten aus Stadt, Land und Bund bis zur regionalen Wirtschaft. Es gilt, die Generalüberholung des Wasserstraßensystems aber auch generell die beschleunigte Umsetzung des Bundesverkehrswegeplans einzufordern. Denn sonst droht ein unumkehrbarer Abwärtstrend – es ist nach Zwölf.
Welche Schritte unternimmt der BöB, um auf eine größere Attraktivität der Wasserstraßen hinzuwirken?
Der Bundesverband der Öffentlichen Binnenhäfen macht seit langem die beschriebenen Sachverhalte öffentlich und platziert den Handlungsbedarf bei Abgeordneten und der Administration, beispielsweise dem Bundesministerium für Verkehr und Digitale Infrastruktur (BMVI) und gemeinsam mit seiner Arbeitsgemeinschaft der Häfen in Nordrhein-Westfalen beim Verkehrsministerium des Landes Nordrhein-Westfalen. Jüngste Beispiele sind die Mitwirkung des BÖB in allen fünf Arbeitsgruppen des BMVI für die Erstellung des Masterplans Binnenschifffahrt oder Treffen und Diskussionen mit Abgeordneten z. B. bei Parlamentarischen Abenden.
Dabei wird es immer wichtiger, nicht nur die verkehrlichen Aspekte sondern die Häfen als wichtige Wirtschaftszentren im Netzwerk der Verkehrswege herauszustellen. Denn ohne Häfen braucht es auch keine Güterschifffahrt.
Herr Dr. Glowacki, wir bedanken uns für das Interview
Das Interview führte Pascal Frai, Pressesprecher der Dortmunder Hafen AG