"Neue Bundesregierung wird der Binnenschifffahrt mehr Gewicht beimessen" Dortmund, den 13.12.2021
Herr Lohbeck, als Geschäftsführer des Bundesverbandes Öffentlicher Binnenhäfen (BöB) besuchen Sie die unterschiedlichsten Häfen. Was ist aus Ihrer Sicht charakteristisch für den Dortmunder Hafen?
Marcel Lohbeck: Als größter Kanalhafen Europas ist der Hafen Dortmund eine wichtige Drehscheibe für die Versorgung des Ruhrgebietes mit Gütern und Waren und verfügt über exzellente Anbindungen in die erweiterte Region und in die ARA-Range. Die am Standort ansässigen Unternehmen verkörpern enorme logistische Kompetenz und tragen erheblich zur Wertschöpfung in der Region bei. Mit der Entwicklung eines Digitalquartiers in Hafennähe zeigt der Hafen Dortmund wie sich eine zukunftsgerichtete und logistikfreundliche Stadtentwicklung betreiben lässt.
Der Regierungswechsel im Bund hat auch einen Wechsel an der Spitze des Bundesverkehrsministeriums nach sich gezogen. Welche Auswirkungen erwarten Sie künftig für Binnenhäfen und Binnenschifffahrt?
Marcel Lohbeck: Der designierte Bundesverkehrsminister Volker Wissing ist ein Kenner der Binnenhäfen und der Wasserstraße, das hat er als Verkehrsminister in Rheinland-Pfalz bereits unter Beweis gestellt. Das kann für die Hafenwirtschaft und die Wasserstraße nur von Vorteil sein.
In den Wahlprogrammen haben sich die Koalitionspartner dafür ausgesprochen, die Potenziale der Wasserstraße stärker zu nutzen (SPD), den Kombinierten Verkehr zu stärken (Grüne) sowie Wasserstraßen zu ertüchtigen und Binnenhäfen zu stärken (FDP). Wird das Binnenschiff in der Verkehrs-, Umwelt- und Wirtschaftspolitik Ihrer Einschätzung nach mehr Gewicht bekommen?
Marcel Lohbeck: Die vergangene Wahlperiode war keine schlechte für die Wasserstraße. Neue Aktionspläne und Förderprogramme wurden aufgelegt und erstmals konnten alle Investitionsmittel auch verbaut werden. Die neue Bundesregierung wird zunächst einmal die Finanzierung der Wasserstraße ab 2023 sicherstellen müssen. Bisher droht eine Unterdeckung von rund 300 Millionen Euro. Die Wasserstraße hat als einziger umweltfreundlicher Verkehrsträger noch freie Kapazitäten, daher wird die Bundesregierung nicht darum herumkommen, ihr mehr Gewicht beizumessen. Der Koalitionsvertrag zeigt dies bereits.
Im Zuge des Aktionsplans „Green Deal“ der EU-Kommission sollen die Gütermengen auf dem Wasser bis 2030 um 25 Prozent wachsen. Welche Maßnahmen sind dafür in Deutschland erforderlich? Mit welchen zusätzlichen Transportgütern könnte die Binnenschifffahrt künftig Wachstum erzielen?
Marcel Lohbeck: Der Masterplan Binnenschifffahrt muss weiter umgesetzt werden. Vor allem die Verlässlichkeit der Infrastruktur muss gesteigert werden, damit der Wasserweg attraktiv für eine stärkere Verkehrsverlagerung wird. Potenziale für stärkere Güterverlagerung auf die Wasserstraße gibt es zum Beispiel im Bereich Großraum- und Schwerguttransporte. Häfen waren immer Drehkreuze für Energieträger, deshalb bietet die anstehende Transformation Deutschlands zur Klimaneutralität große Chancen für Binnenhäfen und die Binnenschifffahrt, z.B. beim Umschlag und Transport von Bauteilen von Windenergieanlagen und neuen Energieträgern. Auch in der urbanen Logistik ergeben sich möglicherweise neue Geschäftsmodelle. Zudem strebt die EU zukünftig die Förderung der Kreislaufwirtschaft an. Hierzu werden Sekundärrohstoffe benötigt, die ebenfalls transportiert werden müssen.
Das Umweltbewusstsein in Deutschland ist spürbar gestiegen, Forderungen nach einer Verkehrswende werden lauter. Ist das Binnenschiff als Alternative zum LKW bereits ausreichend sichtbar, um in Politik und Wirtschaft als Hebel einer Verkehrswende genutzt zu werden?
Marcel Lohbeck: Ein großes Binnenschiff kann 150 LKW ersetzen und stößt pro transportierte Tonne nur 30 Gramm CO2 aus, der LKW 113 Gramm. Anders als Straße und Schiene haben unsere Wasserstraßen noch erhebliche Kapazitäten. Diese Vorteile müssen alle Akteure des Systems Wasserstraße noch nachdrücklicher im politischen Berlin adressieren, damit die Wasserstraße neben Schiene und Straße stärker wahrgenommen wird. Dazu gehört, aktiv über Leuchtturmprojekte wie zum Beispiel die „Elektra“, Landstromanlagen, alternative Antriebe oder auch umweltfreundliche Hafenkonzepte zu informieren.
Der Anteil der Binnenschifffahrt am Güterverkehr liegt in den Niederlanden deutlich höher als in Deutschland, die Wasserstraßen gelten als vorbildlich. Was können wir aus den Niederlanden bezüglich der Modernisierung unseres Systems Wasserstraße lernen und möglicherweise übertragen?
Marcel Lohbeck: Die Niederlande beeindrucken mich mit ihrer pragmatischen und ergebnisorientierten Herangehensweise und ihrer konsensorientierten Poldermentalität. Unser deutsches Bedenkenträgertum würde ich gerne gegen etwas mehr niederländischen Pragmatismus eintauschen. Der hohe Anteil der Schifffahrt in den Niederlanden ist aber natürlich auch topografisch bedingt und so nicht 1:1 auf Deutschland übertragbar.
Auch in NRW gibt es einen Wechsel an der Spitze des Verkehrsministeriums. Was bedeutet dies für begonnene Vorhaben wie etwa einem nordrhein-westfälischen Landeshafengesetz, mit dem man die Häfen als zentrale Güterverkehrszentren in dieser Legislaturperiode stärken wollte?
Marcel Lohbeck: Mit Ina Brandes hat der neue Ministerpräsident Wüst eine gute Wahl für seine Nachfolge im Verkehrsministerium getroffen. Ich konnte Frau Brandes bereits persönlich kennenlernen und bin zuversichtlich, dass sie die begonnenen Projekte zum Abschluss bringen und vielleicht noch das eine oder andere neue Vorhaben initiieren wird. Allerdings steht das Land Nordrhein-Westfalen auch kurz vor der Landtagswahl im Mai 2022. Ob die Zeit noch für ein Landeshafengesetz reicht, da bin ich skeptisch.
Herr Lohbeck, wir bedanken uns für das Gespräch!
Die Fragen stellte Pascal Frai, Pressesprecher der Dortmunder Hafen AG.