Mehr Akzeptanz für die verarbeitende Industrie Dortmund, den 01.07.2022

Interview mit Prof. Dr. Julia Frohne, Chefin der Business Metropole Ruhr (BMR)

 

"Das Ruhrgebiet kann zeigen, dass eine intakte Natur und kraftvolle Industrie keine Gegensätze sein müssen", heißt es im Koalitionsvertrag der neuen Landesregierung in Nordrhein-Westfalen. Ganz NRW soll in den kommenden Jahren zur ersten klimaneutralen Industrieregion Europas entwickelt werden. Liegt in mehr Nachhaltigkeit der Schlüssel zu mehr Wertschätzung der verarbeitenden Industrie? Und wie gestaltet sich die Situation bei verfügbaren Lager- und Gewerbeflächen, die angesichts gestörter Lieferketten verstärkt nachgefragt werden? Darüber sprach Pascal Frai, Pressesprecher der Dortmunder Hafen AG, mit Prof. Dr. Julia Frohne, Chefin der Business Metropole Ruhr (BMR).

Frau Dr. Frohne, der Dortmunder Hafen ist Dortmunds größtes Industriegebiet und das einzige, an dem an sieben Tagen die Woche rund um die Uhr gearbeitet werden kann. Wie wichtig sind solche Flächen für eine Stadt wie Dortmund oder das Ruhrgebiet insgesamt?

Rund um die Uhr Betrieb: Was früher im Ruhrgebiet normal war, ist heute die Ausnahme. Es ist deshalb wichtig, diese Orte der Wertschöpfung – und das sind sie – zu pflegen. Die Akzeptanz von Industrie ist eines der großen Themen der Region, weil Lösungen für Umwelt und Wirtschaft nicht nur im lokalen Kontext gedacht werden können. Die Metropole Ruhr hat sich auf den Weg gemacht, grüne Energie und Industrie zu verbinden, aber es geht nicht ohne Industrie.

Warum wird Industrie als dem Teil der Wirtschaft, der Rohstoffe oder Vorprodukte zu Sachgütern verarbeitet, nicht deutlich mehr Wertschätzung entgegengebracht?

Für manche kommt der Strom ja aus der Steckdose. Wie er da hinein kommt, diese Frage wird jedoch selten gestellt. Das gilt für viele Produkte. Die komplexen Prozesse, die hinter Produktion und Logistik stehen, werden oft nicht beachtet, es steht vor allem der Wunsch im Vordergrund, dass kein Industrie- oder Gewerbegebiet vor der eigenen Haustür steht. Dabei zeigen gerade die geopolitischen Verwerfungen in den jüngsten Monaten und die Transportprobleme von Shanghai bis Suez unsere Anfälligkeit. Es braucht eine breite öffentliche Debatte über die Akzeptanz von Industrie. Allen muss klar sein: Unser Wohlstand muss erarbeitet werden. Dafür braucht es Orte, an denen dies geschehen kann und das sind nicht nur Büros. Die gute Nachricht dabei ist: Gewerbe- und Industriegebiete sehen heute anders als früher. Emissionsschutz und nachhaltige Gestaltung sind wichtige Bestandteile.

Was können die verarbeitenden Unternehmen tun, um ihre systemrelevanten Leistungen für die Gesellschaft besser zu verdeutlichen und insbesondere mehr junge Menschen für eine Tätigkeit in der Industrie zu begeistern?

Da hilft nur der offene, ehrliche Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern, auch über konkrete Auswirkungen von Industrie. Dabei sind Arbeitsplätze und Wohlstand keine schlechten Argumente. Wichtig ist klarzumachen, dass industrielle Fertigung und Klimaschutz keine Gegensätze sein müssen. Außerdem: Wer bei den Themen Klimawandel und Energiewende was bewirken will, kann mit einem Arbeitsplatz in der Industrie viel bewegen. Heimische Produktion verkürzt zudem Lieferwege und das ist gut für die CO2-Bilanz. Darüber hinaus ist Industriearbeit Teamarbeit, sie geschieht nicht im stillen Kämmerlein, sondern man wird Teil einer Mannschaft. Diese positiven Aspekte werden zu selten betont, sind jedoch für junge Menschen sehr interessant.

Als Folge der Pandemie und des Ukraine-Krieges sowie der damit verbundenen gestörten Lieferketten, wird es nahezu unmöglich, „just in time“ zu produzieren. Unternehmen brauchen deutlich mehr Lagermöglichkeiten. Ist dafür im Ruhrgebiet ausreichend Fläche vorhanden?

Natürlich haben wir noch Flächen im Ruhrgebiet, um zu investieren. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass diese Flächen immer rarer werden. Wir hatten im Jahr 2019 noch 2.057 ha Gewerbeflächen. Zwei Jahre später waren es nur noch 1.636 ha, trotz Corona. Aktuell hat das Ruhrgebiet nur rund 304 ha kurzfristig verfügbar, die restriktionsfrei sind. Eine intelligente Verknüpfung mehrerer Faktoren der Wertschöpfungskette, also beispielsweise von Forschung und Produktion oder von Verpackung und Lagerung ist dabei ein wesentlicher Faktor für die weitere wirtschaftliche Entwicklung.

Mit welchen Strategien können Unternehmen der Flächenknappheit begegnen?

Das hängt sehr stark von Branchen und individuellen Situationen der Unternehmen ab. Manchmal gelingt eine ressourcenschonende Umgestaltung im Bestand, manchmal muss man mit Weitsicht am neuen Ort planen. Wir als BMR und die lokalen Wirtschaftsförderungen im Ruhrgebiet sind da gute Ansprechpartner mit Wissen um die Möglichkeiten.

Was sind die Stärken des Ruhrgebiets und was unternimmt die Business Metropole Ruhr GmbH konkret, um den Wirtschaftsstandort Ruhrgebiet zu entwickeln und zu vermarkten?

Das Ruhrgebiet stand früher ausschließlich für Industrie. Wir waren ein Riese auf den zwei Beinen Kohle und Stahl. Heute sind wir ein Tausendfüßler mit vielen Standbeinen, der industrielle Kern ist dabei weiterhin ganz zentral, aufgrund der hohe Wertschöpfung. Darüber hinaus hat die Metropole Ruhr aber viele weitere Themen im Blick, ist beispielsweise stark in Cypber Security oder der Kreislaufwirtschaft. Unser großer Markt im B2B wie auch B2C-Bereich ist interessant für viele Unternehmen, zudem bietet die Region eine große Zahl gut ausgebildeter Fachkräfte und Nachwuchskräfte. Über 400.000 junger Menschen zwischen 16 und 25 lernen an den Berufskollegs und 22 Hochschulen der Region.

Könnten Sie sich auch eine konzertierte Wirtschaftspolitik fürs Ruhrgebiet vorstellen?

Wenn Sie damit mehr Abstimmung zwischen den Akteuren in den Kommunen, der Region und dem Land meinen, sehe ich da gar nicht so schwarz. Seit meinem Amtsantritt im August 2021 habe ich feststellen können, wie eng die Akteure in der Region an vielen Stellen schon zusammenarbeiten. Dafür braucht es auch immer konkrete Projekte, um Kooperationsanlässe zu schaffen und die gemeinsamen Möglichkeiten zu identifizieren und herauszustellen. Auch hier sehen wir als BMR eine Aufgabe. Für die Wirtschaftspolitik muss klar sein, dass die Metropole Ruhr spezifische Stärken einbringt, die auch auf Landes- und Bundesebene bis hin zur EU Berücksichtigung finden müssen. In Zusammenarbeit mit allen kommunalen Akteuren hat die BMR dafür aktuell eine regionale Strategie der intelligenten Spezialisierung erarbeitet. Sie zeigt die regionale Priorisierung von Wirtschaftsbereichen auf, die besonders großes Potenzial für Wachstum und eine nachhaltige Entwicklung neuer Märkte bieten.

Wie sieht Ihre Zukunftsvision für das Ruhrgebiet aus und welche Rolle spielen die Binnenhäfen als Logistikdrehscheiben darin?

Die Qualitäten des Ruhrgebiets als vielseitige, grüne, spannende Metropole, in der es sich gut leben und arbeiten lässt, werden in Zukunft noch bekannter sein als heute. Unsere Wirtschaft wird dank der Hochschul- und Forschungslandschaft stark wissensbasiert arbeiten, dabei in engem Austausch mit der produzierenden Wirtschaft stehen. Die Binnenhäfen werden für die Unternehmen und die fünf Millionen Menschen in der Region in ihrer Bedeutung für die Versorgung und Sicherung von Arbeitsplätzen eine wesentliche Rolle einnehmen. Sie sind zentrale Drehscheiben, um Materialien und Waren in und aus dem Ballungsraum zu transportieren.

Frau Prof. Dr. Frohne, wir bedanken uns für das Interview